Hamburg - 31.03.2025

Zurück in den Dschungel? Das internationale Gefüge im Lichte der Außenpolitik der neuen US-Administration

Dr. F. Melanie Alamir hat Stationen in Wissenschaft und Lehre, im Verteidigungsministerium, in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sowie in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Ihre praktischen Erfahrungen und Einblicke als Trainerin, Beraterin, Projektleiterin und in Managementfunktionen u.a. in Ghana, Kenia, Indonesien, bei ISAF/Afghanistan und zuletzt langjährig in Pakistan und Tadschikistan hat sie begleitend in zahlreichen Publikationen einfließen lassen.

Bleibt nichts wie es war?

Seit Wochen warten wir besorgt fast jeden Tag auf unerhörte neue Nachrichten von der anderen Seite des Atlantiks und reiben uns ungläubig die Augen. Das Gesetz des Dschungels scheint über internationale Regeln und etablierte Gepflogenheiten zu triumphieren. Die ersten Wochen nach Amtsantritt des 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten am 20. Januar 2025 begannen mit einem Stakkato an Präsidialdekreten und Absichtsbekundungen. Das Tempo und die Radikalität der Maßnahmen sowie der teilweise Bruch mit internationalen Konventionen kamen national wie international vollkommen überraschend. Es spricht einiges dafür, dass wir Zeug*innen eines bewussten Demontageversuchs von Grundpfeilern des politischen Systems der USA mit seinen delikaten Checksand Balances sind. Die bisherigen Folgen der ersten Amtshandlungen der zweiten Trump-Administration für die internationalen Beziehungen sind nicht weniger dramatisch. 

So reißen die 80-prozentige Kürzung internationaler Hilfsgelder oder der Ausstieg der USA aus der Weltgesundheitsorganisation tiefe Lücken in internationale Entwicklungs- und Hilfsetats, die großenteils nicht anderweitig kompensiert werden können. Die öffentlich geäußerten Ansprüche von Donald Trump an Grönland, den Panamakanal oder gar an Kanada als 51. Bundesstaat der Vereinigten Staaten mögen zwar wie Satire klingen, müssen aber ernst genommen werden und deuten an, dass die Einhaltung von Grundprinzipien der Charta der Vereinten Nationen (VN) seitens der USA nicht mehr garantiert ist. Die drastischen US-Zollerhöhungen gegenüber einzelnen Ländern oder der EU sind in ihren welthandelspolitischen Auswirkungen noch gar nicht abzusehen. Druck mit politischen, ökonomischen oder militärischen Mitteln, Drohungen, Einschüchterung, Zuckerbrot und Peitsche und vor allem Verunsicherung durch Unvorhersagbarkeit scheinen die außenpolitischen Mittel der Wahl, um kurzfristige internationale Ziele des US-Präsidenten durchzusetzen. Für Europa und Deutschland am gravierendsten sind der neue Tonfall der USA gegenüber den NATO-Verbündeten auf der Münchener Sicherheitskonferenz vom Februar 2025 und der Kurswechsel der amerikanischen Regierung gegenüber Russland. Auf europäischer Seite sind ernsthafte Zweifel entstanden, ob die Vereinigten Staaten im Falle eines Konflikts mit Russland noch ihren Beistandsverpflichtungen gegenüber Europa im Rahmen von Artikel 5 des Nordatlantikvertrags nachkommen würden.

Aufstieg und Fall des „unipolaren Moments“

Auf internationaler Ebene schlagen die Folgen der US-Außenpolitik so unmittelbar zu Buche, weil es hier kein Gefüge an Institutionen gibt, die hinreichend unabhängig vom politischen und ökonomischen Einfluss der USA agieren, ein Gegengewicht bilden oder Auswirkungen kompensieren könnten. Das internationale Institutionengerüst, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg sicherheitspolitisch auf Basis der Charta der Vereinten Nationen (VN) und ökonomisch um den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank herum gebildet hatte, wurde schon wenige Jahre später vom bipolaren Konflikt zwischen dem politischen Westen und dem Sowjetblock überlagert und in seiner Funktionsfähigkeit lange eingeschränkt. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges schien es, als träte das internationale System unter der Pax Americana mit den USA als politisch, wirtschaftlich, militärisch und ideologisch tonangebender globaler Ordnungs- und Garantiemacht in eine verlässlichere und friedlichere Ära des sog. „unipolaren Moments“ (Krauthammer), zumindest bezogen auf Konflikte zwischen Großmächten.

So waren die 1990er Jahre im politischen Westen von einer gewissen Euphorie getragen, die davon ausging, dass das marktbasierte liberale Demokratiemodell und die damit einhergehenden Werte sich international als überlegene normative Orientierung durchgesetzt hätten. Starke Impulse für Multilateralismus, eine prominentere Rolle der VN und anderer internationaler Organisationen, die gewachsene Aufmerksamkeit für Menschenrechtsfragen, der Abschluss wichtiger nuklearer Rüstungskontrollabkommen, weltweite ökonomische Liberalisierungstendenzen, die Gründung der Welthandelsorganisation und der Abschluss regionaler Freihandelsabkommen, Demokratisierungsfortschritte in Osteuropa, Lateinamerika, Afrika und einigen asiatischen Ländern – all das schien Ausweis einer neuen, stärker regel- und vertrauensbasierten internationalen Ordnung. 

Dabei darf nicht vergessen werden, dass diese Jahre alles andere als friedlich waren (u.a. irakische Invasion in Kuwait 1991; Bürgerkrieg in Somalia ab 1991; Kriege im ehemaligen Jugoslawien 1991-1999; Genozid in Ruanda 1994; erster Krieg in Tschetschenien 1994-96; erster Krieg in Zaire/DR Kongo 1996-97), während zugleich autoritäre Kräfte in vielen Teilen der Welt an der Macht verharrten, an Einfluss gewannen oder sich explizit antiwestliche bzw. antidemokratische Kräfte neu formierten. Regime im Nahen und Mittleren Osten, in China oder Nordkorea etwa blieben von den Demokratisierungsimpulsen unberührt. In Zentralasien etablierten sich nach der Unabhängigkeit ausnahmslos autoritäre Präsidialsysteme, in Afghanistan übernahmen nach dem Bürgerkrieg die Taliban die Macht. Militante islamistische Organisationen (Al Qaida, Hizbollah, Hamas) gewannen an Handlungsfähigkeit und Einfluss. Autoritäre Tendenzen zeigten sich in Russland schon Ende der 1990er Jahre.

Zum Ende der ersten Dekade der 2000er Jahre gewannen internationale Entwicklungen an Kontur, die das Ende der unipolaren Phase unter US-Vorherrschaft einläuteten. Völkerrechtlich umstrittene Interventionen im Kosovo 1999 (NATO-geführt) und im Irak 2003 (US-geführt) hatten deutlich gemacht, wie US-Interessen amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik und die ihrer Verbündeten leiteten, notfalls unter Umgehung der Normen, die sie zu schützen vorgaben. Im Falle des Irak geschah dies gar auf Basis falscher Behauptungen über angebliche Massenvernichtungswaffen, wie sich später herausstellte. Die NATO hatte sich sukzessive um nahezu alle Mitglieder des ehemaligen Warschauer Pakts erweitert und war damit immer näher an die Grenzen Russlands herangerückt, während ernsthafte Versuche des Aufbaus inklusiver gesamteuropäischer Sicherheitsstrukturen ausgeblieben waren. Zugleich verschob sich das Hauptaugenmerk der NATO nach den Anschlägen von Al Qaida in den USA im September 2001 hin zu Kriseninterventionen (Afghanistan, Irak). Während internationale Bemühungen in Irak und Syrien in der zweiten Dekade der 2000er zur Bekämpfung der islamistischen Terrororganisation Islamischer Staat (IS) teilweise erfolgreich waren, offenbarte spätestens der hastige internationale Truppenabzug und die erneute Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 das Scheitern groß angelegter internationaler zivil-militärischer Krisenmanagementansätze. Seitdem gewinnt der IS in Afghanistan und Pakistan an Boden und droht sich auch in Syrien wieder neu zu formieren, von der Ausbreitung seiner Regionalgruppierungen in Westafrika, im Sahel, in Somalia und in Mosambik einmal abgesehen. 

Die NATO- (und später EU-) Osterweiterung brachte auf der einen Seite einen nicht dagewesenen Export westlicher ordnungspolitischer und sicherheitspolitischer Standards nach Osteuropa und stärkte das westliche Bündnis enorm. Auf der anderen Seite war sie im Kontext gesamteuropäischer Sicherheit ein Faktor zunehmender Polarisierung, indem sie russische Sicherheitsbedürfnisse ignorierte. Die sichtbar aggressivere russische Außenpolitik in Europa (Einmarsch in Georgien in 2008, Annexion der Krim in 2014) und die zunehmende Abkühlung der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland war neben innenpolitischen Faktoren auch ein Produkt wechselseitiger Aktionen und Reaktionen, die unter dem Vorzeichen der Westintegration Osteuropas statt Bemühungen um gesamteuropäische Lösungen standen. In der NATO setzte damit auch eine schrittweise Rückbesinnung auf Landes- und Bündnisverteidigung ein. Die Motive für den russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 gehen nicht zuletzt auch auf diese Entwicklungen zurück. Politische Dynamiken seitdem kulminierten schließlich in einer neuen Bedrohungswahrnehmung in Europa, die zusammen mit dem Kurswechsel unter Trump eine Debatte über europäische Sicherheitspolitik in Gang gesetzt hat, in der von europäischen Verteidigungsfähigkeiten über die Zukunft der NATO bis hin zum nuklearen Schutzschirm der USA alles auf dem Tisch liegt. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass US- und europäische Außen- und Sicherheitspolitik an der langsamen Eskalationsspirale seit Ende der 1990er maßgeblich mit beteiligt war, was das russische völkerrechtswidrige Handeln freilich nicht schmälert.

China war unter Xi Jinping ab 2012 immer mehr zu einem strategischen Rivalen der USA avanciert. Es begann seine Interessen international sowohl diplomatisch (im Rahmen der VN oder regionaler Organisationen wie der Shanghai Cooperation Organization (SCO), ökonomisch (u.a. Belt and Road Initiative, massives Engagement auf dem afrikanischen Kontinent) als auch kulturpolitisch (z.B. Konfuzius-Institute, Filmindustrie) mit immer größerem Nachdruck zu vertreten. Seine rasante wirtschaftliche und technologische Entwicklung wurde von militärischer Modernisierung und einer aggressiveren Außenpolitik im südostasiatischen Vorfeld (u.a. gegenüber Taiwan oder den Philippinen) flankiert. Die Gründung neuer Sicherheitspakte wie AUKUS (Australien-Großbritannien-USA) oder die sogenannte QUAD (USA-Indien-Japan-Australien) sind Versuche, den chinesischen Einfluss in Südostasien und im Pazifik sicherheitspolitisch einzudämmen. Die Gefahr einer Konflikteskalation zwischen den USA und China in diesem Raum ist heute so groß wie noch nie.

International waren zunehmend Mittelmächte wie die Türkei, Indien, Brasilien oder auch Südafrika auf den Plan getreten und begannen regionale Macht- und Gestaltungsambitionen zu entwickeln. Die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Saudi-Arabien gewannen nicht nur ökonomisch, sondern auch diplomatisch und sicherheitspolitisch internationales Gewicht und profilieren sich jüngst erfolgreich als diplomatische Vermittler in internationalen Konflikten. Der Mitgliederzuwachs der SCO und der Aufwuchs der sog. BRICS (Zusammenschluss von Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) zu einer Organisation mit zehn Mitgliedern in 2024 sind Indikator dafür, dass sich zunehmend neue Konstellationen von Staaten in bewusster Abgrenzung von der US-Dominanz interessen- und nicht primär wertegebunden zusammenschließen. Zugleich haben die „alten“ multilateralen Institutionen auf vielen Feldern an Handlungsfähigkeit verloren. Während der politische Westen im Namen von Demokratie und Freiheit über beinahe zwei Dekaden in zahlreichen Konflikten mit oft zweifelhaftem Erfolg interveniert hatte und für zahllose zivile Opfer mit verantwortlich war, wurde in Teilen der Welt die US-geführte Außenpolitik und die ihrer Verbündeten zunehmend als Faktor von Instabilität oder gar Bedrohung wahrgenommen.

Die globale Finanzkrise in 2008 begünstigte infolge der globalen Rezession populistische Narrative und eine Vertrauenskrise in hergebrachte politische und ökonomische Institutionen in Europa, den USA, Lateinamerika und einigen Ländern Asiens. Sie stieß auch geopolitische Machtverschiebungen zugunsten Chinas an. Die globale Corona-Pandemie von 2020/21 verstärkte bestehende Trends der Störanfälligkeit von Lieferketten und protektionistische Tendenzen. Neben der zunehmenden Politisierung von Handelsbeziehungen und einer Verschiebung globaler Öl- und Gasflüsse ab 2022 im Zuge der Sanktionen gegen Russland verschärfte sich auch der Wettbewerb u.a. um knappe strategische Rohstoffe (z.B. seltene Erden für die Chipherstellung) wie auch um technologische Innovationen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, besonders zwischen China und den USA.

Das internationale Gefüge ist heute, gut dreißig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, charakterisiert durch zunehmende Multipolarität, verstärkten Wettbewerb in allen Dimensionen (auch hinsichtlich politischer Ordnungsmodelle und Werte) und wachsende Fragmentierung bei gleichzeitiger Schwächung etablierter multilateraler internationaler Institutionen und stabilisierender internationaler Regime. Die USA und ihre europäischen Verbündeten haben diese Entwicklungen aktiv mit beeinflusst.

(Re-)Ideologisierung des Denkens

Der Optimismus der 1990er Jahre mit seinem Vertrauen in Demokratie und westliche Werte spiegelte wohl weniger internationale Realitäten, sondern Wahrnehmungsverzerrungen im politischen Westen, die auf eine Mischung aus Siegerbewusstsein, Hybris und Denkmustern aus dem Kalten Krieg zurückzuführen waren und die bis heute unseren (westlichen) Blick auf das internationale Geschehen vielfach prägen. Der Ideologiecharakter dieses Denkens war und ist für alle, die sich dem politischen Mainstream zuordnen, allerdings schwer erkennbar, weil man sich positiv mit demokratischen Grundwerten und Pluralismus identifiziert. So wurde lange nicht gesehen oder verstanden, dass das westliche Postulat von Demokratie und Menschenrechten in vielen Teilen der Welt keineswegs fraglos gut ankam. Spätestens um die Jahrtausendwende herum erhielt die Selbstgewissheit der democracy as the only game in town der euphorischen Jahre Risse, wich nach und nach Bedrohungsperzeptionen durch Instabilität, islamistischen Extremismus oder Populismus. 

Mit diesen Entwicklungen einhergehend verschob sich in der deutschen, teilweise auch europäischen und transatlantischen Debatte das normative Leitmotiv vom Triumph von Demokratie und Marktwirtschaft hin zum alles überschattenden Kampf zwischen Demokratie und Autoritarismus. Die vermehrte Betonung der Wertebasiertheit von Außenpolitik, die sogenannte feministische Außenpolitik, oder der gebetsmühlenartig wiederholte Verweis auf die regelbasierte internationale Ordnung können auch als Facetten des neuen Paradigmas gesehen werden. Vom bipolaren Denkmuster her an die Kalte-Kriegs-Tradition anknüpfend, hat dieses Narrativ im Zuge des Krieges zwischen Russland und der Ukraine immer stärker Züge eines Schlagabtausches zwischen Gesinnungen angenommen, dass ein ernsthaftes pluralistisches und gegenseitig von Respekt getragenes Ringen um Haltungen, Positionen und Lösungsansätze immer seltener möglich war. Mit der Ideologisierung ging auch eine wachsende Moralisierung einher. Dies galt für den öffentlichen medialen und politischen Diskurs um die Unterstützung der Ukraine ebenso wie um die israelische Politik im Gazastreifen oder auch um innenpolitische Themen wie Migration. 

In diese Situation platzte Donald Trumps zweite Amtszeit und stellt seitdem alles auf den Kopf. Da die Diskurslage in Deutschland und in Teilen Europas bereits hochgradig polarisiert und ideologisiert ist und der politische Mainstream sich mit dem Erstarken rechtspopulistischer Figuren und Parteien in vielen europäischen Ländern in der politischen Defensive sieht, wirken die Verlautbarungen und Maßnahmen der neuen US-Regierung zusätzlich wie ein Messer im Rücken. Sie brechen nicht nur mit lieb gewonnenen Freund-Feind Schemata, sondern unterlaufen auch basale Maßstäbe von politischer Verlässlichkeit, Konsistenz, Regeltreue und politischem Anstand. Das Herzstück des werte- und regelbasierten Ordnungskonstrukts, das transatlantische Bündnis, wird von ihrer Garantiemacht aus dem Innern heraus in Frage gestellt, die jetzt von einer Administration geführt wird, die sich als Anti-Establishment-Kraft versteht, sich explizit von politisch liberalen Werten abgrenzt und es mit bestehenden Regeln und Gesetzen nicht so genau nimmt. Die regelbasierte internationale Ordnung erscheint in diesem Lichte als ein glücklicher, aber vorübergehender und nur kurzer Moment in der Geschichte, der sich auf ein Zusammenspiel besonderer Gegebenheiten stützte, die nicht mehr ohne Weiteres gelten.

Nicht alles verändert sich

Es kann hilfreich sein, den Blick auf das internationale Geschehen in längeren Linien zu betrachten. In dieser Perspektive hat sich, was aktuell plötzlich und unerhört erscheint, vielfach schon zuvor angedeutet. Das internationale System befindet sich seit jeher in stetem Wandel. Mächte stiegen auf, expandierten zu großen Reichen und zerfielen wieder. Aufstieg und Fall waren in aller Regel ein schrittweiser Prozess über Jahrzehnte, zuweilen Jahrhunderte. Historische Verallgemeinerungen sind mit Vorsicht zu genießen, aber in vergleichender Perspektive drängt sich auf, dass folgende Faktoren zu den Hauptursachen des Niedergangs großer Reiche gehörten: Machtkämpfe unter politischen Eliten und Konflikte um Führungsfolge; Dysfunktionalität politischer Institutionen mit Blick auf friedlichen Interessenausgleich sowie ökonomische Stagnation und die Begrenztheit ökonomischer Ressourcen, um lange Grenzen und große Territorien zu sichern, Kriege zu führen und im ökonomischen Wettbewerb an der Spitze zu bleiben (hegemoniale Überdehnung). Für den Zeitraum zwischen 1500 und dem späten 20. Jahrhundert kommt P. Kennedy (1987) zu dem Schluss, dass vor allem ökonomische Stärke die Bedingung für den Aufwuchs und Bestand von Großmächten bildete, da die Unterhaltung großer Armeen oder Flotten ressourcenintensiv ist. Im 20. Jahrhundert war demnach technologische Innovation der wichtigste ökonomische Wachstumsfaktor, der ökonomische, militärische und damit auch geopolitische Machtverschiebungen induziert hat. P. Heather and J. Rapley (2023) fügen für ihren Vergleich zwischen dem Zerfall des Römischen Reichs und dem Niedergang der US-Vorherrschaft im 21. Jahrhundert außerdem wachsende ökonomische Ungleichheit und soziale Disparitäten sowie die Abhängigkeit der Wirtschaft von internationalen Handelsnetzen und Migration von Arbeitskräften als Faktoren an. In seinem Werk über Gründe für den Bestand und Zerfall von Gesellschaften allgemein arbeitet J. Diamond (2005) heraus, dass neben dem Umgang mit natürlichen Ressourcen und Klimaveränderungen, externem Druck durch Invasoren, Verlust von Handelsnetzwerken und gesellschaftlicher Resilienz insbesondere politische Führung und Institutionen zentral für die Bestandsfähigkeit von Gesellschaften sind.

Die meisten der genannten Faktoren spielten auch eine Rolle beim Zerfall der Pax Americana. In den USA wie in anderen Gesellschaften des politischen Westens steht die innere Kohäsion unter Druck durch eine wachsende Polarisierung zwischen offenen und geschlossenen Gesellschaftsmodellen und den politischen Kräften, die diese repräsentieren. Der oben aufgezeigte zunehmende Einfluss populistischer, vielfach explizit antidemokratischer Kräfte und die Verhärtung der politischen Diskurskultur spiegelt einen Vertrauensverlust in Pluralismus und demokratische Institutionen nicht nur an den politischen Rändern. Die interventionsfreudige Außen- und Sicherheitspolitik ab Mitte der 1990er mit langjährigen zivilen und militärischen Einsätzen an gleichzeitig verschiedenen internationalen Konfliktschauplätzen scheiterte an der Machbarkeit von Strukturwandel von außen mit limitierten ökonomischen und politischen Ressourcen. Eine ausführlichere Diskussion der Analogien aus der Geschichte würde hier zu weit führen. Mit Blick auf das hier im Mittelpunkt stehende Argument bleibt jedoch festzuhalten, dass erstens die heutigen Veränderungstrends im internationalen System schon in den späten 1990er Jahren einsetzten und somit nicht so unerwartet und disruptiv sind, wie es aktuelle tagespolitische Ereignisse suggerieren mögen. Zweitens mag es zwar nicht wirklich beruhigen, aber doch relativieren, dass aus der Perspektive von Mustern des Aufstiegs und Falls großer Reiche nicht alles mit ihnen verschwand, sondern viele ihrer Errungenschaften überdauerten. 

Was bleibt, was geht?

Um zu reflektieren, wie die neue US-Außenpolitik das internationale Gefüge in absehbarer Zukunft beeinflussen könnte, muss herausgearbeitet werden, was seine Besonderheiten nach 1990 ausmachte. Ein herausragendes Merkmal war seine präzedenzlose Unipolarität. In vorangegangenen internationalen Ordnungen gab es mindestens zwei (Kalter Krieg) oder meist mehrere rivalisierende Großmächte, die ihre Beziehungen untereinander regelten. Das Römische Imperium auf seinem Höhepunkt war in seinem Machtbereich zwar unipolar, besaß aber keine globale Ausdehnung, da mächtige Reiche der Zeit in China und auf dem indischen Subkontinent nicht unter seinem Einfluss standen. Die Macht des britischen Empire war zu keinem Zeitpunkt für längere Zeit unangefochten und wurde in den verschiedenen Teilen des Weltreiches immer wieder von anderen imperialen Mächten herausgefordert. Es ist schwer vorstellbar, dass die starken Tendenzen zur Multipolarisierung des internationalen Systems und der damit einhergehende wachsende souveräne Handlungs- und Gestaltungsanspruch nicht nur von Regionalmächten, künftig von einer einzigen Weltmacht eingedämmt oder kontrolliert werden können. Alles deutet darauf hin, dass die Komplexität des internationalen Gefüges tendenziell eher zu- als abnehmen wird. 

Einzigartig war zudem die Dominanz eines spezifischen ordnungspolitischen Modells, das nach dem Zweiten Weltkrieg in zahlreiche Länder exportiert wurde und zumindest nominell internationale Standards (z.B. Rechtsstaatlichkeit, freie Wahlen) gesetzt hat. Eng damit verknüpft war die Verbreitung vermeintlich universeller Werte und Normen (Menschenrechte, Chancengleichheit, etc.), die ihren Ursprung in einer christlich-abendländischen Denktradition haben, die auf dem Individuum und dessen Entscheidungsfreiheit fußt. In keinem früheren Imperium gab es einen vergleichbar weitgehenden ordnungspolitischen und ideologischen Führungsanspruch der dominanten Macht. Wie angedeutet, wird der amerikanische und westliche ideologische Führungsanspruch in einigen Weltregionen zunehmend in Frage gestellt. Die Überlagerung von Werten und Normen durch nationale Interessen in der Außen- und Sicherheitspolitik boten einen fruchtbaren Boden für Kritik aus vielen Ländern des globalen Südens, wonach der politische Westen mit Doppelstandards arbeite. In vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, Asiens und Lateinamerikas, wo politische Kulturen und Institutionensysteme auf patrimonialen Loyalitätsmustern basieren, greifen westliche Werte und Normen ohnehin oft nur oberflächlich. Schließlich sind die liberale Demokratie und die mit ihr verknüpften Werte und Normen, wie oben angedeutet, zunehmend auch von innen heraus unter Druck geraten. Vor dem Hintergrund der oben genannten Fragmentierungstendenzen ist daher wahrscheinlich, dass es künftig auch in ordnungspolitischer und normativer Hinsicht immer mehr nebeneinander bestehende konkurrierende Entwürfe gibt, die sich allenfalls regional behaupten können. Der Bruch der Trump-Administration mit vormaligen Orientierungen dürfte diesen Trend begünstigen.

Ein weiteres besonderes Merkmal war die Abstützung des internationalen Ordnungsgeflechts nach 1990 auf multilaterale Institutionen. Allseits akzeptierte Regeln und Standards prägten das internationale Geschehen allerdings selbst in der euphorischen Phase faktisch nur zum Teil. Die oben angedeuteten Entwicklungen zeigen einerseits eine Schwächung vieler multilateraler Institutionen. Andererseits erfordern die zunehmenden globalen Herausforderungen (Erderwärmung, Wasserverknappung, Nutzung des Weltraums, Regulierung des Cyberspace, etc.), globale Antworten, wenn nicht mächtige Partikularinteressen die Lösungsansätze diktieren sollen. Unverändert haben viele, v.a. weniger einflussreiche Länder ein Interesse am Fortbestand und am Erfolg multilateraler Institutionen, um themenspezifische Interessen international zu verfolgen. Zudem wohnt Institutionen eine inhärente Trägheit inne, die ein kurzfristiges Auslaufen des institutionellen Multilateralismus unwahrscheinlich machen. Anzunehmen ist dagegen, dass sich die Landschaft multilateraler Institutionen fortlaufend verändert, weiter regionalisiert, zunehmend fragmentiert und immer mehr Institutionen künftig nicht mehr notwendig westlichen Staaten und Standards folgen, sondern sich um regionale Führungsmächte und auch andere Werte und Normen herum gruppieren. Inwieweit die großen Spieler wie die VN mit ihren Unterorganisationen, die Weltbank oder der IWF ihre prominente Rolle beibehalten, hängt maßgeblich von ihrer Finanzausstattung ab. Aber selbst, wenn diese durch Maßnahmen unter der Trump-Regierung finanziell geschwächt und mit geringerem Handlungsspielraum ausgestattet wären, nähmen sie auch in absehbarer Zukunft wichtige Aufgaben wahr, vor allem auf den Feldern der humanitären Hilfe und der ökonomischen Entwicklung für bedürftige Länder. Die Zukunft der NATO und anderer Organisationen mit sicherheitspolitischem Fokus wird sehr wahrscheinlich stärker von kurzfristigen geopolitischen Dynamiken und den sich verschiebenden Interessenlagen ihrer Mitglieder geprägt sein. Auch wenn unwahrscheinlich ist, dass die NATO als Pfeiler deutscher Außen- und Sicherheitspolitik in naher Zukunft wegbrechen wird, ist gut möglich, dass sich ihr Charakter deutlich verändern wird und die Sicherheitsarchitektur in Europa mittelfristig auch auf anderen Standbeinen Halt finden muss. Für gesamteuropäische sicherheitspolitische Formate stehen die Zeichen der Zeit stehen aktuell denkbar ungünstig.

Eine weitere Besonderheit internationaler Beziehungen seit den 1990ern war die Abwesenheit von kriegerischen Auseinandersetzungen unter Großmächten. Während zu Zeiten des Kalten Krieges langjährige Stellvertreterkriege (Korea, Vietnam, Afghanistan) viele Ressourcen banden, gab es seit dem Ende der bipolaren Weltordnung keine gewaltsam ausgetragenen Konflikte der USA mit Russland oder China. Das internationale Kriegsgeschehen hatte sich weitgehend auf innerstaatliche Ebene verlagert. Die oben umrissenen wechselseitigen Dynamiken zwischen den USA, Russland und China in Europa und im Südpazifik deuten jedoch an, dass die Gefahr einer Konfrontation zwischen Großmächten wieder gestiegen ist. Die zweite Trump-Administration lässt bisher kein Interesse an militärischen Auseinandersetzungen dieser Art erkennen. Bislang scheint sie eher bereit, vormalige Konfliktstandpunkte zugunsten von Großmacht-Absprachen zu opfern. Der Kurs der neuen US-Regierung scheint aber nicht von erkennbaren langfristigen Strategien geleitet und kann daher auch schnell umschwenken, so dass hier keine Vorhersagen möglich sind. Die Bedrohungswahrnehmung eines möglichen Angriffs auf EU-Mitglieder durch Russland innerhalb der nächsten Dekade, die derzeit in Europa den Druck auf höhere Verteidigungsausgaben leitet, geht über das realistische Maß hinaus. Fraglos stellt Russland unter seiner aktuellen Führung eine Bedrohung auch für EU-Mitglieder dar. Allerdings lassen seine ökonomische Kapazität sowie die derzeitige Verfassung seiner Streitkräfte zweifeln, dass Russland innerhalb einer Dekade einen größeren regulären militärischen Angriff auf ein EU-Land erfolgreich führen könnte, ganz abgesehen von der Frage, was das politische Rational eines solchen Schrittes sein sollte. Zwar dürfte die Schwächung der NATO durch die ambivalente amerikanische Haltung das Risikokalkül Russlands beeinflussen. Aber viel wahrscheinlicher scheint, dass Russland seinen Wunsch nach Weltgeltung und sein Interesse an Wiederherstellung von Einfluss in Europa vermehrt durch Disruption mit irregulären Mitteln verfolgt, worauf die allein im letzten Jahr mindestens verdreifachte Anzahl von russischen Sabotageakten, Cyberangriffen, Anschlägen sowie Desinformationsoperationen bereits hindeutet. Um solche Maßnahmen auf deutscher und europäischer Seite zielgerichtet abwehren zu können und zugleich die eigene Verteidigungsfähigkeit mittel- und langfristig auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, ist es gut, mehr Mittel für Verteidigung verfügbar zu haben. Wie und wofür diese Mittel eingesetzt werden, bedarf einer sorgsamen Abwägung und Strategie mit kühlem Kopf.

Schließlich brachten internationale Entwicklungen seit Ende des Kalten Krieges eine einmalige Zunahme an Akteuren und Instrumenten mit erheblichem Einfluss auf internationales Geschehen mit sich. Dazu gehören zum einen eine Vielzahl irregulärer militanter Gruppierungen auf allen Kontinenten, die teilweise in Gebieten unter ihrer Kontrolle staatliche Funktionen übernehmen. Zum anderen haben sich, meist rund um autoritäre Regime, einflussreiche Netzwerke zwischen Politik, Wirtschaft, Sicherheitsapparaten, Medien und organisierter Kriminalität etabliert, die ihre Interessen nicht nur im Innern, sondern auch grenzüberschreitend verfolgen (Applebaum 2024). Außerdem kommt nichtstaatlichen internationalen Organisationen punktuell und themenfeldbezogen eine zuvor nicht dagewesene Rolle für das Überwachen von Standards zu, z.B. bezogen auf Themen wie Umwelt (Greenpeace), Menschenrechte (Amnesty International) oder Korruption (Transparency International). Globalisierung und die globale Vernetzung von Gesellschaften hat zwar Rückschläge erfahren, ist aber kaum in Gänze zurückzudrehen. Nicht zuletzt haben soziale Medien, Informationen im Cyberspace sowie die Nutzung von KI ein eigenständiges, nicht mehr wegzudenkendes Gewicht in der globalen Meinungsbildung erlangt. Alles spricht dafür, dass diese Diversifizierung von Akteuren und Instrumenten in der internationalen Politik weiterhin zunehmen und Informationsflüsse immer schwerer zu kontrollieren sein werden. 

Ausblick

Vieles ist derzeit im Fluss und die neue US-Administration erst seit einigen Wochen im Amt, alle Annahmen über ihre Außen- und Sicherheitspolitik stehen daher unter Vorbehalt. Der große Bogen, der hier geschlagen wurde, sollte helfen, die jüngsten Ereignisse, die seit Januar 2025 täglich auf uns einprasseln, in einen größeren Kontext zu stellen. Dabei sollte verdeutlicht werden, dass die euphorische Phase der internationalen Beziehungen nach Ende des Kalten Krieges sich weitgehend in Köpfen im politischen Westen abgespielt hat und zudem Produkt einer spezifischen Faktorenkonstellation war, die sich schon nach wenigen Jahren zu ändern begann. Die optimistischen Wahrnehmungen und Deutungsmuster über das internationale Geschehen aus dieser Zeit waren eher ein Reflex von Hoffnungen und Wünschen, spiegelten eher Gesinnungen als unumkehrbare Trends. Diese Perzeptionen haben zugleich blind für das Erkennen des Anteils der eigenen Außen- und Sicherheitspolitik an Entwicklungen gemacht, die heute Anlass zur Sorge geben. Vielfach setzt sich heute fort, was sich schon seit vielen Jahren abzeichnet. Die Welt wird weiterhin komplexer und es scheint, als bewegten wir uns in mancher Hinsicht eher zurück hin zu Perioden wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Einiges wird aber auch bleiben und das Erhaltenswerte gilt es zu stärken.

Für deutsche Außen- und Sicherheitspolitik heißt das, zunächst neu und realistisch zu definieren, was für Akteure Deutschland und Europa in der Welt sein können und wollen. Dazu gehört besonders, internationale politische Dynamiken und das komplexe Wechselspiel von Perzeption, Aktion, Reaktion sowie beabsichtigen und nicht beabsichtigten Folgen eigener Handlungen besser zu verstehen und zu antizipieren. Dabei sollte deutsches internationales Engagement mit finanziellen, zivilen und militärischen Mitteln stärker priorisiert werden. Bei der Wahl von Partnern außerhalb der EU sollte sich Deutschland stärker von handlungsfeldbezogenen Zielen und Interessen sowie Verlässlichkeit in der Befolgung von Regeln, statt von Gesinnungen leiten lassen. Gleichzeitig sollte alles unternommen werden, um dort, wo Deutschland und Europa klare Interessen und Einfluss haben, Zonen regelbasierter Vereinbarungen zu stärken bzw. zu erhalten. Im Dschungel gilt das Recht des Stärkeren, aber auch Beutetiere haben erfolgreiche Überlebensstrategien. Anders als Räuber und Beute im Dschungel allerdings müssen internationale Akteure zwar auch oft auf Sachzwänge reagieren, haben aber immer die Wahl und somit die Resultate ihres Handelns zu verantworten.

 

Applebaum, Anne (2024). Autocracy, Inc.: The Dictators Who Want to Run the World. Knopf Doubleday, New York

Kennedy, Paul (1987). The Rise and Fall of the Great Powers: Economic Change and Military Conflict from 1500 to 2000. Random House, New York

Heather, Peter; Rapley, John (2023). Why Empires Fall: Rome, America, and the Future of the West. Yale University Press, New Haven, Connecticut

Diamond, Jared (2005). Collapse: How Societies Choose to Fail or Succeed. Viking, New York