Hamburg - 29.04.2024

Resilienz und Strategische Kommunikation

Frau Prof. Dr. habil. Natascha Zowislo-Grünewald ist seit 2010 Professorin für Unternehmenskommunikation an der Universität der Bundeswehr München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem: Kommunikationsmanagement, Medien und Sicherheitspolitik; Kommunikation in digitalen Medien und deren gesellschaftliche Wechselwirkungen; Vertrauen, Transparenz, Authentizität: gesellschaftliche Erwartungen an Organisationskommunikation und Medien; Kommunikation im Spannungsfeld von Politik, Medien und Gesellschaft

Resilienz ist derzeit in aller Munde, aber was ist damit eigentlich gemeint?
Diejenigen, die das Wort verwenden, meinen vordergründig damit eine Art von Widerstandskraft gegen Versuche, Staat und Gesellschaft gegenüber der eigenen Bevölkerung in Misskredit zu bringen und das Vertrauen in die staatliche Ordnung zu untergraben. Resilienz ist also ein Abwehr-, ein Schutzschirm gegen die strategischen Feinde von Außen und ihre populistischen Verbündeten im Inneren, wobei sich Grenzen im Kommunikationsraum auflösen. Die Klarheit von Innen und Außen verliert sich; wer der ‚Feind‘ der Resilienz ist, wird ambivalent, wenn er in den eigenen Reihen sitzt. Das Individuum soll in jedem Fall jedoch vor Einflussnahme geschützt werden, damit die Gesellschaft als Ganzes keinen Schaden nimmt.

Dabei geht es jedoch nicht primär um den Schutz von Staat und der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft an sich, sondern um den Schutz von Staat und Gesellschaft in der jetzigen Form. Hintergründig wird nämlich – und das macht die Forderung nach Resilienz gefährlich – immer auch mitgedacht, feindliche politische Positionen somit aus dem politischen Diskurs zu entfernen. Nur ist der Schritt von feindlichen politischen Positionen zu denen des legitimen politischen Gegners ein ganz kleiner; und natürlich wünscht sich jede (partei-) politische Position Resilienz ihrer Anhänger gegenüber der Kommunikation des anderen Lagers – und darf dies auch.

Die Forderung nach Resilienz als Schutz- und Abwehrschirm kann daher ganz schnell dazu führen, kritische politische Positionen wie zum Beispiel solche zum Atomausstieg, über gendergerechte Sprache, Prinzipien der Einwanderungspolitik et cetera zu unerwünschten, systemzerstörenden zu erklären und den Diskurs damit zu zensieren. Der Wunsch, einen Schutzschirm über den gesellschaftlichen Diskurs aufzuspannen und ihn gleichsam zu immunisieren, mag gut gemeint sein. In seiner jetzigen Form versucht er jedoch zu definieren, was gesagt und was nicht gesagt werden darf, damit die zu Schützenden nicht zu Zielen oder gar zu Opfern eines treffsicheren feindlichen Diskurses werden können. Die Versuchung ist dabei groß, alles, was nicht dem eigenen politischen Programm entspricht, in die Verbotszone zu schieben.

Die offene Gesellschaft wird so leicht zur geschlossenen Gesellschaft.
Resilienz so verstanden verstellt aber den Blick darauf, weshalb destruktive populistische strategische Kommunikation überhaupt so wirken kann, dass unsere Gesellschaft ein Problem hiermit hat. Im eigentlichen Wortsinne meint kommunikative Resilienz nämlich, dass destruktive strategische Kommunikation nicht verfängt, also wirkungslos bleibt, auch und gerade wenn sie bis in die Köpfe der Menschen durchdringen kann, also kein Schutzschirm existiert, der populistische Parolen aus der Social Media-Blase fischt. Resilienz meint eine innere, kognitiv-affektive Widerstandskraft, nicht eine von außen durch Diskursverbote aufoktroyierte.

Also, warum scheint destruktive strategische Kommunikation in unserer Gesellschaft so gut zu wirken? Oder: Weshalb glauben die Leute, was sie glauben wollen und im Sinne des Demokratieerhalts besser nicht glauben sollten?

Beginnen wir also mit der Dystopie:
Die Methoden und Wirkungen hybrider Kriegsführung in den Social Media gehen uns mittlerweile wie Allgemeinplätze von den Lippen: Wir sprechen über Botnetzwerke, die uns mit Desinformationen fluten. Über Trollfabriken, die Fake News verbreiten. Und nicht zuletzt über KI-generierte Deep Fakes, die es uns unmöglich machen, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, gerade was die Verfasstheit unserer Demokratie und ihrer Wehrhaftigkeit betrifft.

Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht, ist Aufklärung: Aufklärung als inhaltliches Mittel der Wahl. Aufklärung als Heilsbotschaft. Wären die Menschen nur genügend aufgeklärt, wählten sie nicht antidemokratische Parteien, würden den Verlockungen populistischer Menschenfänger widerstehen und Freiheit, Marktwirtschaft und Demokratie verteidigen – und vor allem keine Fake News glauben.

Doch wenn Aufklärung der Schlüssel ist und alle entscheidenden Akteure dies wissen: Warum funktioniert es nicht? Warum laufen unsere Bemühungen ins Leere, das Licht des Wissens und der korrekten Zusammenhänge unter die Menschen zu tragen? Wollen die Menschen etwa nicht aufgeklärt werden? Sind wir gescheitert, sie resilient zu machen?

Aber vielleicht muss die Bewertung des Zustands unserer Gesellschaft und unserer Resilienzfähigkeit gar nicht so dystopisch ausfallen:
Was wir beobachten, ist nicht neu: Sprache beeinflusst. Kommunikation beeinflusst. Kommunikation verfolgt immer einen Zweck, denn menschliches Bewusstsein ist zweckgebunden – immer. Konflikte beginnen nach Luhmann mit der Kommunikation von Dissens („Nein“). Was wäre das für eine Gesellschaft, in der nur Ja-Sager unterwegs sind? Für Max Scheler ist der Mensch konstitutiv ein „Nein-Sagenkönner“. In der Demokratie wurde schon immer über den richtigen Weg gestritten, die eigene Meinung untermauert und die der anderen bekämpft. Statt also in Panik zu geraten, sollten wir die richtigen Lehren aus dem uns Bekannten ziehen – und lernen.

Was tatsächlich neu ist, ist die Geschwindigkeit und die Raumnahme, mit der sich Debatten entwickeln. Social Media wirken bei ihren Zielgruppen wie ein Brandbeschleuniger und sind zudem räumlich entgrenzt. In ihnen droht Kontrollverlust, denn der Informationsraum ist überall und kann von jedem Akteur zu jedem Zeitpunkt überall auf der Welt bespielt werden.

Ein wichtiger Ausgangspunkt für alle Strategien und Überlegungen muss daher die Frage sein, wie wir schneller – und das bedeutet: angemessen schnell – agieren und reagieren können, um resilient zu werden, bevor demokratiezersetzende Diskurse sich tatsächlich Deutungsmacht in unserer öffentlichen Debatte verschaffen können. Eigentlich geht es darum, unsere Sicht der Dinge multimedial verstärkt durchzusetzen, bevor das andere mit ihrer Interpretation des gesellschaftlichen Zustands tun können. Lücken füllen, bevor der ‚Gegner‘ sie füllt; die Komplexität der (Post-) Moderne mit all ihren unerklärlichen Irregularitäten lädt diese Lücken im Kontext geradezu ein, Verunsicherung zu produzieren und es den destruktiven Kräften leicht zu machen, hier Raum zu gewinnen.

Um Wahrheit und Lüge, um diese Abgrenzung geht es dabei nicht – denn darum ging es überhaupt noch nie, weil es in der öffentlichen Diskurs-Sphäre nicht DIE Wahrheit gibt. Der Gedanke, die Wahrheit setze sich am Ende durch, ist deshalb allenfalls naiv. Realität entsteht durch Kommunikation. Und die ist nicht neutral. Sie funktioniert nach Hans Blumenberg als Erzählung, als Kontext. Am Ende setzt sich die attraktivste Erzählung durch, nicht die wahrste.

Auch andere Fachdisziplinen haben sich von einem solchen absoluten Wahrheitsbegriff verabschiedet – man denke an die Unschärferelation, den absoluten Zufall und allgemein unser nachmetaphysisches Zeitalter. Der Begriff der Wahrheit bringt uns hier nicht weiter, und wir verwenden ihn nur, weil wir damit einen komplexen Sachverhalt genauso reduzieren können, wie wir es unseren Gegnern oftmals vorwerfen.

Dies lässt leider nur einen Schluss zu: Unsere Geschichte, die Geschichte unserer resilienten Demokratie, ist zu schlecht, mindestens aber zu schlecht erzählt, um in der Kakophonie Bot-beeinflusster Fake News-Netzwerke gehört zu werden.

Vielleicht erzählen wir sie auch überhaupt nicht mehr?
Wo ist der strategische Ansatz, durch Kommunikation die Begeisterung für Freiheit und Demokratie, für Europa zu wecken und den Blick auf das internationale Geschehen resilient zu machen? Also ganz pragmatisch: Wo sind die Kanäle angesagter Influencer, die unsere Kinder zu Begeisterungsstürmen über die Demokratie veranlassen und resilient gegenüber trojanischen Pferden in Form von Desinformationskampagnen machen?

Wir müssen uns eingestehen, dass Geschichten nicht mithilfe von Fakten glaubhaft werden – und schon gar nicht mithilfe eines erhobenen Zeigefingers. Geschichten müssen mitreißen, weitererzählbar sein – und die Hoffnung auf ein gutes, ein erstrebenswertes Ende beinhalten.

Ist unsere eigene Geschichte stark und stark erzählt mit allen legitimen Mitteln der Dramaturgie über relevante Kanäle hinweg in Formaten, die Menschen verstehen können, erübrigt sich die panische Reaktion auf jede Desinformationskampagne. Denn eine solche starke Erzählung macht uns resilient: Glaubwürdigkeit und Tragfähigkeit unserer eigenen Erzählung lassen die Kampagnen der Feinde unserer Gesellschaft ins Leere laufen. Es heißt ja nicht umsonst „Zielgruppe“ und Kommunikations-„Wirkung“. Wir müssen den Gegner also nicht ‚erschießen‘, Botnetzwerke abschalten, Trollfabriken schließen – wir müssen selbst besser ‚treffen‘.

Und zuletzt: Warum passiert das alles nicht? Warum erkämpfen wir uns die Deutungshoheit im Kommunikationsraum nicht? Naiv an den Sieg der Wahrheit zu glauben ist hier nur ein Feigenblatt – unserer Saturiertheit. Es befremdet, wenn wir die Herausforderung, für unsere Demokratie wehrhaft zu sein, im Kommunikationsraum nicht annehmen, uns aus einer saturierten Haltung heraus zu Gewinnern erklären – und die anderen direkt als Idioten, als „Pack“ abschreiben. Als würde es sich nicht zu kämpfen lohnen, als wäre die hybride Lage doch noch nicht schlimm genug, um sich ihrer anzunehmen.

Resilient ist nur jemand, der an die grundsätzliche Richtigkeit, Legitimität und Wahrhaftigkeit der gesellschaftlichen/politischen/wirtschaftlichen Ordnung glaubt und sich mit dem grundlegenden Wertekanon identifizieren kann. Resilienz hat also etwas mit Identität zu tun. Insofern kann man argumentieren: Feindliche strategische Kommunikation kann nur deshalb so leicht verfangen, wenn etwas mit der "Coporate Identity" in der Bundesrepublik Deutschland (oder auch anderen westlichen Staaten) nicht stimmt.

Gesellschaften resilient zu machen bedeutet also, eine starke Identität aufzubauen, die Identifikation mit unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Identitätskommunikation ist immer eine Form strategischer Kommunikation, allerdings eine konstruktive Form.

Wie lässt sich dies nun schaffen?
Mit einer attraktiven Erzählung über sich mit Anknüpfungspunkten an die Lebenswelt der einzelnen und dem gemeinsamen, geteilten Wertekosmos. Mit einem anschlussfähigen, attraktiven und glaubwürdigen Programm zur Gestaltung der Zukunft aller; im Sinne eines großen Gesellschaftsentwurfs, wo "wir" stehen und wo "wir" hinwollen.

Nicht zuletzt hilft es auch, wenn staatliches Handeln funktional ist und sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Mit anderen Worten: dass das System auch funktioniert und so funktioniert, wie die Menschen es möchten; dies macht wiederum die Erzählung glaubhafter und trägt unmittelbar zum Aufbau von Resilienz bei, wenn Wort und Tat übereinstimmen und man nichts ‚wegerklären‘ muss.

Wir unterschätzen die Macht, die Wichtigkeit, die GRUNDSÄTZLICHKEIT von Kommunikation:
Im Anfang war das Wort; und durch das Wort wurde alles geschaffen.
Unsere Institutionen, unsere Demokratie und ihre Resilienz basieren am Ende nur auf Kommunikation: nämlich der andauernden Debatte darüber, wie wir leben wollen. Die Voraussetzungen der freiheitlichen Gesellschaft sind nicht genetisch; sie müssen immer wieder neu erstritten werden – durch Kommunikation in einem andauernden hybriden Krieg, verlagert nun in die Arena der Social Media, an dem wir uns im Moment noch scheuen teilzunehmen.

Die Frage ist, was ist uns wehrhafte Kommunikation wert?
Kurzum: Es ist ein strategischer Fehler, dem Gegner das Feld freiwillig zu überlassen. Unsere Abschreckung, unsere Resilienz funktioniert nicht oder zumindest nicht ausreichend. Wir müssen bereit sein, zu kämpfen – auch und gerade mit der Macht des Wortes. Wir müssen uns befähigen, mit allen Mitteln der strategischen Kommunikation Resilienz aufzubauen, OHNE den Gegner mundtot zu machen – das erübrigt sich dann nämlich.

Wir sind Ziel monströser Angriffe im Kommunikationsraum. Nur zum Opfer machen wir uns tatsächlich selbst.